Unser Kandidat kann mehr als deutsch zu sein!

27. Mai 2014

Der Juso-Landesvorstand hat sich auf seiner Klausurtagung am Wochenende kritisch mit der von der Bundes-SPD geschalteten Anzeige „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden“ auseinandergesetzt. Daraus entstanden ist ein offener Brief an den Parteivorstand der SPD, in dem dieser aufgefordert wird, künftig auf derartige Formulierungen zu verzichten. Denn die SPD und gerade Martin Schulz stünden für die Idee einer europäischen Union jenseits nationaler Interessensvertretung.

Der Brief an den Parteivorstand im Wortlaut

Liebe Genossinnen und Genossen,

mit Martin Schulz hatten wir einen Spitzenkandidaten für die Europawahl, der die europäische Idee im sozialdemokratischen Sinne verkörpert. Dies wurde in seiner Kampagne deutlich transportiert, u.a. dass wir als SozialdemokratInnen ein Europa jenseits der nationalstaatlichen Interessenpolitik wollen: Ein Europa in dem alle Menschen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit solidarisch zusammenleben und wo nicht nur wirtschaftliche Interessen zählen.

Für uns Jusos als internationalistischer Verband ist Europa ein besonders wichtiges Anliegen, weshalb uns Martin Schulz’ Wahlkampf auch sehr begeisterte und motivierte. Nicht umsonst unterstützen wir den Wahlkampf mit zahlreichen Aktionen. Eben weil wir uns mit diesem Wahlkampf gut identifizieren konnten, waren wir mit großen Engagement und viel Freude dabei. Und wir haben erlebt, dass viele Menschen sich gerade deshalb für die SPD ausgesprochen haben, weil sie Martin Schulz als Spitzenkandidaten erlebt haben, für den die Europäische Union mehr ist als eine Forum zum Verfolgen nationalstaatlicher Interessen - und der damit auch einen klaren Widerpart zur AfD, aber auch den konservativen Parteien darstellt.

Umso entsetzter waren wir, als wir am Freitag morgen auf Facebook von zahlreichen jungen Menschen mit der Anzeige „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden“, die ihr unter anderem in der SZ und BILD geschaltet habt, konfrontiert wurden. Junge SPD-KandidatInnen wurden in den entsprechenden Posts markiert und gezielt darauf angesprochen, ob das „unser Ernst“ sei. Dabei schlug ihnen der latente bis manifeste Vorwurf des Nationalismus entgegen. Als KandidatIn und Parteimitglied ohne Vorwarnung einer solchen Kehrtwende in der Kampagne drei Tage vor der Wahl konfrontiert zu werden, stellte uns vor einen inneren Konflikt:

Eine Wahlempfehlung für Martin Schulz kann und darf nicht aufgrund seiner Nationalität erfolgen. Unser Kandidat kann mehr als deutsch zu sein. Deshalb war es uns nicht möglich diese Anzeige zu rechtfertigen. Diese Anzeige widerspricht unseren sozialdemokratischen Grundwerten. Drei Tage vor der Wahl wollten wir aber auch nicht Martin Schulz in den sozialen Netzwerken in den Rücken fallen und öffentlich kundtun wie wir über die nationalistischen Anklänge dieser Anzeige wirklich denken.

Wie kann es sein, dass wir auf der Straße für ein solidarisches Europa kämpfen und dann so eine Zeitungskampagne den gesamten Wahlkampf konterkariert? Wie kann es sein, dass wir die WählerInnen dazu aufrufen keine Rechtspopulisten und Nazis zu wählen, dass wir ihnen sagen "kein Nationalismus" und dann so eine Anzeige schalten? Wer entscheidet über solche Kampagnen, die leichtfertig - für den schnellen Stimmenzugewinn - die gesamte Glaubwürdigkeit der SPD in Europa in Frage stellen?

Wir appellieren inständig, in zukünftigen Kampagnen auf solch stumpfe Parolen und billigen Populismus zu verzichten. Gerade wir Jusos, die für eine internationalistische Strömung innerhalb der SPD stehen, können ansonsten Kampagnen der SPD nicht mehr unterstützen. Das wäre sehr bedauernswert, da aus unserem Verständnis heraus eine gerechte, freie und solidarische Gesellschaft nur mit der Sozialdemokratie möglich ist. Wir wollen uns weiterhin für die SPD im Wahlkampf einsetzen können.

Wir erwarten eine baldige Antwort, die der Ernsthaftigkeit der Situation auch gerecht wird,

Freundschaft! Der Vorstand der Jusos Bayern

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