Warum „betrügt die Mittelschicht sich selbst“ und wählt eine Politik, die gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ist? Zu diesem Thema diskutierte die Juso-Landeskonferenz am Sonntag in Nürnberg mit der taz-Journalistin und Autorin Ulrike Herrmann, die sich seit längerem mit diesen Fragen beschäftigt.
Herrmanns zentrale These lautet, dass die Mittelschicht sich selbst im gesellschaftlichen Verteilungskampf vor allem gegen die Unterschicht abgrenze, während sie eine stärkere Belastung der Oberschicht dagegen oft ablehne, beispielsweise bei der Diskussion um höhere Spitzensteuersätze. Dies sei widersinnig, da die Einkommens und Vermögensverteilung immer ungleicher werden und davon die Mittelschicht genauso wie die Unterschicht betroffen sei. Dass trotzdem die Mittelschicht ihre Macht, „die Gesellschaft so zu gestalten, wie es für sie passt“ nicht nutze, liege an einem „Selbstbetrug“. Die Mittelschicht halte sich für reicher als sie sei und glaube an die eigene Aufstiegsmöglichkeit in die Oberschicht, obwohl dies gar nicht der Realität entspreche. Außerdem sei Reichtum in Deutschland kaum ein Thema, während gegen die Unterschicht regelmäßig polemisiert werde. Die Thesen von Thilo Sarrazin und deren weite Rezeption in der Bevölkerung seien dafür ein gutes Beispiel.
In der Aussprache zum Referat wurde deutlich, dass die Mittelschicht zentral auch für Wahlerfolge der SPD sei. Diese müsse sich daher, erklärten mehrere Delegierte, mit der Situation der Mittelschicht auseinandersetzen und offensiv für eine andere Politik werben, die Umverteilung aus der Oberschicht organisiere. Hier sei starke Aufklärungsarbeit nötig, um den „Selbstbetrug der Mittelschicht“ zu beenden und Mehrheiten zu gewinnen.
Auch die aktuelle Bundespolitik spielte auf der Landeskonferenz natürlich eine Rolle. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution fordern die Jusos Bayern auf, den von Merkel ausgerufenen „Herbst der Entscheidungen“ zum „Herbst der Regierung Merkel“ werden zu lassen. Die Politik, die die Bundesregierung beispielsweise beim Sparpaket oder bei der Gesundheitsreform verfolge, sei sozial unausgewogen. Gespart werden vor allem auf dem Rücken der Schwächsten, auch die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze sei hier ein Beispiel. „Der zentrale DGB-Aktionstag am Samstag mit über 30.000 Demonstranten in Nürnberg hat deutlich gemacht, dass diese Politik von einer breiten Mehrheit abgelehnt wird“, sagte der Juso-Landesvorsitzende Philipp Dees bei der Vorstellung der Resolution. „Wir werden auch weiterhin gegen diese Politik kämpfen und die Proteste aktiv unterstützen.“
In einem weiteren Beschluss sprachen sich die Jusos Bayern außerdem gegen Stuttgart 21 aus und schlossen sich der Forderung nach einem Volksentscheid an.