Offener Brief: Abschiebungen stoppen!

03. März 2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder, sehr geehrter Herr Staatsminister Herrmann, sehr geehrte Damen und Herren der Zentralen Ausländerbehörden in Bayern, Bayern

Im Jahr 2020 wurden insgesamt über 1.200 Menschen aus bayerischer Zuständigkeit abgeschoben. Und das in einem Jahr, in dem eine globale Pandemie unser aller Leben bestimmt und die Gesundheitsversorgung in vielen Zielländern der Abschiebungen unzureichend und unklar ist. Wir, die unterzeichnenden Organisationen dieses offenen Briefes, fordern ein Umdenken in der bayerischen Abschiebepraxis und einen generellen Abschiebestopp, nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie.

Zusammengebracht hat uns ein Abschiebungsfall, der auch durch diverse bayerische Medien ging. Wir sprechen von Mimi T. Die 33-jährige wurde Ende 2020 aus dem Abschiebegefängnis in Eichstätt nach Äthiopien abgeschoben. Dort hat sie weder Familie noch Freundinnen und Freunde, während sie hier in Deutschland verheiratet und integriert ist. Als Mitglied der äthiopisch-orthodoxen Kirche in Nürnberg hatte sie in ihrer Wahlheimat viele Freundinnen und Freunde, die sie während des gesamtem Abschiebeprozesses unterstützten. Während zahlreiche Unterstützer:innen und Freund:innen demonstrierten, intervenierten und protestierten, verlor Mimi unter den schrecklichen Zuständen in der eichstätter Abschiebehaftanstalt 15 Kilogramm an Gewicht, hatte mehrere Panikattacken und Nervenzusammenbrüche und musste zwischenzeitlich in einem lokalen Krankenhaus untergebracht werden. Obwohl diverse Ärzt:innen und Expert:innen die Abschiebung als höchst gefährlich für den Gesundheitszustand der jungen Frau einstuften, wurde sie schließlich am 28.12.20 nach Äthiopien ausgeflogen. Ähnlich wie in anderen Fällen galt für die Beamt*innen: “aus den Augen, aus dem Sinn”. Nachdem man Mimi (in einem Rollstuhl sitzend) am Flughafen in Addis Abeba mit 50€ in der Tasche abgestellt hatte, war die gesamte Geschichte für den Freistaat erledigt. Dass die Frau weder Kontakte noch eine Unterkunft in Äthiopien hatte und ganz nebenbei schwerst selbstmordgefährdet war, spielte an dieser Stelle keine Rolle. Erschreckend, ja. Nur ist Mimi leider kein Einzelfall. Wir dürfen an dieser Stelle nochmal die Zahl aus der Einleitung erwähnen: 1.200 Abschiebungen im Jahr 2020, allein aus Bayern. Das sind drei Menschen am Tag. Viele, wenn nicht die allermeisten von ihnen, haben ihre Abschiebung und die daraus folgenden Konsequenzen genauso wenig verdient wie Mimi sie verdient hatte.

Regelmäßig werden Personen gewaltvoll aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, Familien werden getrennt und gelebte Integration wird zerschlagen. Wir halten diesen Umgang mit Geflüchteten für unmenschlich und unvereinbar mit den demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Werten, zu denen sich der Freistaat Bayern unter anderem in seiner Verfassung bekennt. Neben der Abschiebepraxis als solcher wollen wir in diesem Brief explizit die harten Bedingungen in Abschiebehaft, gewaltsame Übergriffe durch Begleitbeamt:innen sowie Praktiken wie Zwangsmedikationen auf- und angreifen Bereits im Vorfeld der Abschiebungen zwingt man Betroffene und ihre Nächsten zu einem Leben unter psychischer Gewalt. Besonders in den sogenannten AnKER-Zentren ist es an der Tagesordnung, Abschiebungen in den frühen Morgenstunden unter Einsatz einer Vielzahl an Polizeibeamt:innen durchzuführen. Solche Vorgehensweisen können bei Menschen, die wohlgemerkt oft aus Kriegsgebieten und autoritären Regimen geflohen sind, zu permanenter Schlaflosigkeit (Re-)Traumatisierungen oder anderen psychischen Problemen führen. Selbst wer letztlich nicht abgeschoben wird, wird einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt und lebt in ständiger Angst und Ungewissheit. In der Regel befinden sich Geflohene, die schlussendlich nicht abgeschoben wurden, auch Monate und Jahre nach der Haft noch in psychologischer Behandlung, um ihre Hafterfahrungen verarbeiten zu können.

Während die meisten Menschen aktuell aufgrund der Corona-Pandemie richtigerweise auf Reisen verzichten, finden nach wie vor Abschiebungen statt. Abgesehen von den nicht nachvollziehahren Mehrkosten, die durch diese Praxis entstehen, stellt ein Festhalten am Status Quo eine gesundheitliche Gefährdung sowohl für die Abgeschobenen als auch für die Menschen in den Zielländern der Abschiebungen dar. Der Freistaat und alle anderen Instanzen, die aktuell Abschiebungen durchführen, verzichten an dieser Stelle beinahe beiläufig auf Nichtigkeiten wie internationale Solidarität und den Schutz von Menschenleben, auch hier gilt wieder „aus den Augen, aus dem Sinn“. Außerdem wird medizinisches Personal, das wir hier in Deutschland dringend bräuchten (es ist schließlich Pandemie), oft für mehrere Wochen gebunden, um einzelne Menschen aus dem Land zu bringen. Das Wort unverantwortlich scheint in diesem Kontext mehr als zu klein.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Abschiebungen sind ein massiver Eingriff in Selbstbestimmungs- und Freizügigkeitsrechte von Menschen – dies gilt in verschärftem Maße in Zeiten eines gesundheitlichen Notstandes. Wir fordern Sie deshalb aus humanitären und gesundheitlichen Gründen dazu auf, einen sofortigen generellen Abschiebestopp aus Bayern durchzusetzen.

Über diesen Weg hoffen wir auf einen konstruktiven Dialog und verbesserte Bedingungen für die von Abschiebung bedrohten und betroffenen Menschen in Bayern. Wir fordern Sie zum schnellen Handeln auf und bitten um Stellungnahme zur aktuellen Situation in Abschiebehaft und Ausländerbehörden.

Mit freundlichen Grüßen

MIRJAM KÖRNER Landessprecherin GRÜNE JUGEND Bayern

EMILIA KIRNER Landesvorstandsmitglied Junge Ökologen Bayern

ANNA TANZER Landesvorsitzende Jusos Bayern

SVENJA THELEN Bezirksjugendsekretärin DGB Jugend Bayern

KATHRIN VOGELMANN Landesvorsitzende Evangelische Jugend in Bayern

SIMON MIRWALD Landesvorsitzender SJD Die Falken Bayern

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