Der Rechtsstaat muss sich wehren

Wieso wir einen Nazi-Aufmarsch jetzt Spaziergang nennen

Aktuell können wir auf Bayerns Straßen ein seltsames Phänomen beobachten – die sogenannten „Corona-Spaziergänge“. Manchmal sind sie amüsant anzusehen, wenn beispielsweise verschrobene Gestalten für eine eigenartige Lesart von Frieden und Freiheit tanzen. Zunehmend bereiten sie uns aber Sorgen, da der Ton rauer wird und die Gewaltbereitschaft zunimmt. Die Einordnung dieser sehr heterogenen Gruppierungen ist sicherlich nicht einfach. Doch sie bieten ein willkommenes Spielfeld für Bayerns rechtsextreme Szene.

Auch vor der Corona-Pandemie gab es in Bayern ein nicht zu unterschätzendes Potential für Verschwörungsmythen. Eine ganze Reihe an Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Eigenbrötlern, die sich von staatlichen Strukturen abgewandt haben, trieben ihr Unwesen. Teilweise bewaffnet und gewaltbereit. Auch Kontakte zur „klassischen“ rechtsextremen Szene bestanden immer. Intensiviert wurden diese aber durch Corona und die dadurch erforderlichen staatlichen Hygienemaßnahmen.

Bayern Neonazis wollen sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und versuchen eine vermeintliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu nutzen, um ihre eigene menschenverachtende Ideologie zu propagieren. Verbindendes Element zwischen Verschwörungsgläubigen und den Rechtsextremen ist die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat. Das Corona-Thema wollen beide Gruppierungen nutzen, um die Radikalisierung eines dafür zugänglichen Bevölkerungsteils voranzutreiben.

Auch die AfD versucht – ganz im Stile des Populismus mit dem man bei der Parteigründung 2013 gestartet war – mit der Corona-Thematik politisch zu punkten, ob auf der Straße oder in der parlamentarischen Auseinandersetzung. War man zu Beginn der Pandemie noch kurzzeitig für harte und effektive Hygiene-Maßnahmen, so ist die Partei mittlerweile endgültig ins Lager der Covidioten gewechselt. Zum einen schien dies opportun im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit. Zum anderen sind die Verflechtungen der AfD ins rechtsextreme Milieu mittlerweile so stark, dass die dort tonangebenden Akteur*innen auch starken Einfluss auf die Parteiagenda haben.

Zwar erleben wir auch vereinzelte unbeholfene Distanzierungsversuche von Organisator*innen der „Spaziergänge“, die sich nicht mit bekannten Nazigrößen und einschlägigen Parteien und Organisationen zeigen wollen. Doch deren antidemokratischen und antisemitischen Inhalte haben sie längst auch übernommen. Außerdem tritt die extreme Rechte auch zunehmend in eine tragende organisatorische Rolle bei den „Spaziergängen“. Mit dem gezielten Einsatz von Lügen und Halbwahrheiten buhlen sie um Zuspruch und versuchen damit eine aufgeheizte und aggressive Stimmung zu erzeugen. Das Gefasel von der vermeintlich „gespaltenen Gesellschaft“ kommt ihnen dabei gerade recht.

Auch die Verharmlosung der Versammlungen als „Spaziergang“ spielt den Neonazis in die Karten. Dabei sind die Zusammenkünfte nicht angemeldet und verfolgen offensichtlich den Zweck, die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Sie sind nicht spontan, sondern über Telegram geplant und verabredet. Gezielt wird gegen Auflagen verstoßen, an die sich eigentlich jede Kundgebung oder Demonstration halten muss. Die Versammlungsfreiheit ist kein Freifahrtschein.

Diese sogenannten „Spaziergänge“ sind also ganz klar politisch motivierte Zusammenkünfte. Sie werden von Rechtsextremen als Instrument genutzt und haben das Ziel die Autorität des Staates anzugreifen. Denn die treibenden Kräfte dieser Bewegung möchten den Eindruck vermitteln eine breite Bevölkerungsgruppe zu repräsentieren. Der liberale demokratische Rechtsstaat soll in die Defensive gedrängt werden und seine Legitimation wird in Abrede gestellt. Der extremen Rechten geht es nicht um Maskenpflicht, Abstandregel, 2G oder die Schutzimpfung, sondern um den Umsturz des demokratischen Systems.

Wir sollten in Öffentlichkeit und Politik aufhören so zu tun, als handle es sich um Verunsicherte, die Angst vor möglichen Impfnebenwirkungen haben. Wer verunsichert ist, schlägt keine Polizist*innen, verschickt keine Morddrohungen und organisiert keine illegalen Demonstrationen. Wenn der Staat nicht konsequent reagiert, wird der Einfluss der Nazis in dieser Szene weiter steigen und sie werden weiter Zulauf von frisch Radikalisierten erhalten. Das Corona-Thema ist nur ihr neuer Ansatzpunkt an eine breitere Öffentlichkeit, so wie es die Finanzkrise und das Thema Migration bereits erfolgreich waren.

Beim immer wieder beschworenen Versuch die Verunsicherung der „Euro-Skeptiker“, „besorgten Bürger“ oder eben jetzt „Corona-Spaziergänger“ ernst zu nehmen, dürfen wir nicht vergessen die Nazis zu bekämpfen. Dazu braucht es Sicherheitsbehörden, die die Bedrohung durch den Rechtsextremismus ernst nehmen und eine Politik, die diese nicht verharmlost. Ich finde, wir sollten diese „Spaziergänge“ als das benennen, was sie sind – Nazi-Aufmärsche. Spätestens dann sollte den „Verunsicherten“ klar werden, mit wem sie sich gemein machen.