Mit dem Programm WIR JUSOS BAYERN wollen wir deshalb eine erneuerte Selbstverortung vornehmen. Es soll für uns und unsere Untergliederungen für die nächsten Jahre handlungsweisend sein und sich damit beispielsweise auf unsere Arbeitsprogramme und die konkreten Projekte, die wir umsetzen, auswirken.
Diesem Beschluss ist ein mehr als einjähriger Diskussionsprozess mit dem ganzen Verband vorausgegangen. In allen Bezirken haben wir basierend auf 13 Thesen die Inhalte dieses Programms vorbereitet und mit Mitgliedern der Basis diskutiert. Dabei wird ein Programm, dessen Anspruch es ist, kurz und knapp zu sein, niemals alle Fragen und Konflikte adressieren können. Wir wollen uns positionieren zu den Fragen, die wir derzeit als kritisch wahrnehmen.
Wir Jusos Bayern sind ein eigenständiger politischer Richtungsverband.
Wir Jusos Bayern stehen zur Vision des demokratischen Sozialismus als Wirtschafts- und vor allem als Gesellschaftsform. Wir Jusos Bayern stellen die Auseinandersetzung um materielle Fragen für eine von allen gemeinsam erkämpfte Zukunft in den Fokus unserer Arbeit, unser Sozialismus ist immer zuerst materialistisch. Materialismus bedeutet für uns, Fragen der Verteilung von Macht und Ressourcen ins Zentrum zu stellen und politische Fragen zunächst immer vor dem Hintergrund der Produktionsverhältnisse zu betrachten. Unser Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus als Basis für einen demokratischen Sozialismus der Freien und Gleichen.
Wir erarbeiten und vertreten unsere Positionen in kritischer Solidarität zur Sozialdemokratie in Bayern und Deutschland. Unsere Positionen leiten wir stets aus unserer Utopie ab. Wir tragen sie in unseren Verband, in die SPD und nach außen. Unser Ziel ist es, die Menschen im Dialog von unseren Ideen zu überzeugen und den Diskurs in der Gesellschaft zu verschieben. Wir Jusos Bayern sehen den Weg zum Sozialismus nicht geradlinig. Es wird immer Fort- und Rückschritte geben. Es gibt nicht ein Patentrezept, sondern vielmehr unterschiedliche Herangehensweisen, die alle für sich genommen nicht ausreichend sind, sondern ineinandergreifen müssen, um gemeinsam Kraft zu entwickeln.
Wir Jusos Bayern ringen sowohl um unsere theoretische Grundlage und Analyse, als auch um unsere langfristige Vision sowie tagesaktuelle und kurzfristige politische Ziele.
Wir Jusos Bayern sehen uns als Reformsozialist*innen. Wir glauben, dass Veränderungen hin zu einer sozialistischen Gesellschaft durch parlamentarische Prozesse erkämpft werden können und erkämpft werden müssen. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass Veränderungen auch in und durch die Gesellschaft notwendig sind. Die Gesellschaft hat die Macht, politische Themen in den Fokus zu rücken und ihren Parlamentarier*innen politische Schwerpunkte mitzugeben. Daraus leitet sich für uns die Doppelstrategie ab.
Wir Jusos Bayern sehen den Staat sowohl als Mittel zur Durchsetzung unserer politischen Ziele als auch in seiner aktuellen Form als stabilisierendes Element des Kapitalismus. Das bedeutet, dass wir innerhalb des Staates Reformen erwirken wollen und ihn gleichzeitig als Schutzmechanismus für kapitalistische Interessen kritisch sehen.Dieser Dualismus ist seit vielen Jahren Bestandteil linker Theorie und Bildungsarbeit, weshalb wir auf eine umfangreichere Ausführung hier verzichten. Diese Staatskritik wird aber an dieser Stelle trotzdem erwähnt, weil sie die theoretische Grundlage für unsere Doppelstrategie und damit zentral für die Debatte über die Erreichung unserer gesellschaftlichen Vision ist.
Wir Jusos Bayern sehen unsere Aufgabe nicht nur in parlamentarischen Prozessen und staatlichen Institutionen sowie daraus abgeleitet den Parteigremien, sondern auch auf der Straße und im direkten Kontakt mit den Menschen.
Wir Jusos Bayern sind in beide Richtungen – trotz enger Zusammenarbeit und Verbundenheit – eigenständig. Wir sind weder die „Werbeagentur“ der SPD in den sozialen Bewegungen und auf der Straße noch die „Lobbyorganisation“ ebendieser sozialen Bewegungen: unsere Aufgabe liegt nicht darin, Anliegen der Bewegungen zu sammeln und in Anträge zu überführen. Vielmehr wollen wir Anknüpfungspunkte finden, um andere in ihrer jeweiligen Lebensrealität und in ihrem politischen Engagement vom demokratischen Sozialismus zu überzeugen.
Wir Jusos Bayern betrachten uns als entscheidender Antreiber politischer Bündnisse links der Mitte und wollen diese Rolle wieder stärker wahrnehmen. Unser Engagement erstreckt sich über verschiedene Themenfelder, entscheidend bleibt aber das Ziel des demokratischen Sozialismus. Dabei spielen antifaschistische Werte eine zentrale Rolle für uns. Wir wollen uns gemeinsam mit anderen - vordergründig mit unseren engen Bündnispartner*innen - aktiv gegen jede Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt einsetzen. Auch in anderen demokratischen Bündnissen beteiligen wir uns, wenn wir dort neue Verbündete finden und für linke Positionen in der Breite der Gesellschaft werben können.
Wir Jusos Bayern möchten damit auch etwas dagegen tun, dass wir uns möglicherweise in Echo-Kammern bewegen, in denen unsere Ideen und Ansichten nur unter Gleichgesinnten verstärkt werden, anstatt sie durch weitere Perspektiven zu schärfen und zu verbessern. Deshalb ist es wichtig, eigene Multiplikator*innen zu haben, die unsere Botschaften durch verschiedene Kanäle und Plattformen über unsere bestehende Zielgruppe hinaus verbreiten. Auch als eigenständiger linker Richtungsverband sind wir der Überzeugung, dass es entscheidend ist, den politischen Diskurs gemeinsam zu verändern. Durch Zusammenarbeit und Solidarität können wir unsere Stimme stärken und wirkungsvoller für progressive Veränderungen eintreten.
Wir Jusos Bayern verfolgen in Bündnissen nicht das Ziel, ein größeres Stück vom linken Kuchen abzubekommen. Das oberste Ziel unserer Beteiligung in Bündnissen und unseres Engagements auf der Straße und in Bewegungen ist es, dazu beizutragen, dass der linke Kuchen größer wird. Wir wollen in der Gesellschaft – insbesondere bei jungen Menschen – Klassenbewusstsein schaffen. Die Leute müssen nicht sofort mit roten Fahnen durch die Straßen ziehen, aber erste Schritte sind auch Ausdrücke von Solidarität mit Streikenden oder ein Bewusstsein für gemeinsame Kämpfe um Klimagerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit.
Wir Jusos Bayern erkennen an, dass die Willensbildung innerhalb linker Bewegungen und in unserem Verband ein dynamischer Prozess ist. Es ist wichtig, dass alle Mitglieder die Möglichkeit haben, ihre Meinungen und Ideen einzubringen und dass diese dann gemeinsam diskutiert und entschieden werden. Für die Beachtung der vielfältigen Perspektiven muss es unser Ziel sein, dass auch Mitglieder verschiedener linker und befreundeter Bewegungen sich an Debatten in unserem Verband beteiligen.
Wir Jusos Bayern sehen uns Teil der Arbeiter*innenbewegung und besonders der Arbeiter*innenjugend und haben deshalb eine historisch gewachsene Nähe zu den Gewerkschaften und besonders der Gewerkschaftsjugend.
Wir Jusos Bayern blicken auf Gewerkschaften in ihren unterschiedlichen Rollen. Wir unterscheiden sie in ihrer Rolle als Sozialpartner*in und in ihrer Rolle als Organisationsort der Interessen der Arbeiter*innen. Durch die Einbettung ersterer in die Zwänge des kapitalistischen Systems können sich die Arbeiter*innen nicht mehr darauf verlassen, dass sich durch Kompromisslösungen in der Tarifpartner*innenschaft, im Modus der Austragungsweise kapitalistischer Gegensätze, ihre Lebensverhältnisse verbessern. Gleichzeitig führt eine zunehmend individualisierte Gesellschaft zu einer Entpolitisierung der Arbeitsverhältnisse und bedingt damit schwindende Organisations-Grade und einen Mangel an Durchsetzungskraft.
Wir Jusos Bayern erkennen, dass sich die unterschiedlichen progressiven Akteur*innen in der Arbeiter*innenbewegung zukünftig wieder stärker aufeinander beziehen müssen, statt ihre Unterschiede vor sich her zu tragen. Da uns eine organisierte Basis in der Partei und in der Bevölkerung fehlt, orientieren wir uns an der Praxis sozialer Bewegungen, um für linke Politik zu mobilisieren und Arbeiter*innen zu organisieren. Dabei spielen Gewerkschaften eine große Rolle, weil sie in den Betrieben vor Ort präsent sind und damit auch die Lebensrealität junger Arbeiter*innen gut kennen.
Wir Jusos Bayern erkennen an, dass ohne die Verankerung der arbeitenden Bevölkerung in der SPD der Druck von unten verschwindet, sozialdemokratische, sozialistische Politik zu machen und damit auch bei Wahlen erfolgreich zu sein. Gleichzeitig verlieren die Gewerkschaften an Mitgliedern. Durch politische Organisationshilfe werden diese und damit ihre Verhandlungsmacht wieder stärker. Die Sozialdemokratie verlor an Einfluss, als die Gewerkschaften schwächer wurden.
Wir Jusos Bayern sehen den Zusammenhang und die daraus resultierende notwendige Kooperation zwischen uns und den Gewerkschaftsjugenden bzw. der SPD und den Gewerkschaften. Starke Gewerkschaften und eine starke Linke sind die Grundlage dafür, dass die Sozialdemokratie wieder an Bedeutung gewinnt.
Wir Jusos Bayern unterstützen die Gewerkschaften nicht nur durch Aufrufe, Mitglied zu werden, und Selfies mit Mitgliedsausweisen sondern vor allem, indem wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Richtung Demokratisierung aller Lebensbereiche ausdehnen wollen. Hierzu zählen wirtschaftsdemokratische Ziele genauso wie das politische Streikrecht.
Wir Jusos Bayern sehen die Sozialdemokratie und damit vor allem die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als Verbündete im Kampf für den Sozialismus. Dass unsere Utopie nicht in der Breite der SPD getragen wird, steht dazu nicht im Widerspruch: Innerhalb des Parteienspektrums ist die SPD für uns die beste Option, da sie unseren Standpunkten am nächsten kommt und am ehesten in dieselbe Richtung geht. Da wir als einen Teil der Doppelstrategie Veränderungen in parlamentarischen Prozessen anstreben, macht es Sinn, auf die SPD einzuwirken und sie durch solidarische Kritik und Initiativen immer wieder auf den richtigen Kurs zu führen. Wir erkennen an, dass die SPD stärker als wir Zwängen ausgesetzt sind, die es in vielen Punkten schwerer machen, an der Durchsetzung sozialistischer Ziele zu arbeiten.
Wir Jusos Bayern gewichten unsere Arbeit für den demokratischen Sozialismus höher als zur Wählbarkeit der SPD beizutragen, die vermeintlich durch Geschlossenheit der Partei und Zurückhaltung in der Radikalität unserer Forderungen entsteht.
Wir Jusos Bayern haben über viele Generationen hinweg den Marsch durch die Institutionen in Partei und Parlementen als konkreten Weg zur Erreichung unserer Ziele gesehen. Daraus entstand in der Vergangenheit der heute vielfach genutzte Leitgedanke “Jusos in die SPD und Jusos in die Parlamente". Doch aktuell sehen wir, dass die pure Anwesenheit von Jusos in Vorständen und Fraktionen nicht mit einer direkten Verbesserung der Regierungspolitik oder gesteigertem Einfluss für unsere Positionen einhergeht. Das hat zwei Gründe: Einerseits unterliegen auch explizit sozialistisch sozialisierte Abgeordnete und Gremienmitglieder den Zwängen des Kapitalismus. Und zweitens fehlt uns eine gesamtverbandliche Strategie, wie wir konkret mit denen umgehen, die aus unseren Reihen mehr Verantwortung übernehmen.
Wir Jusos Bayern beobachten, dass der starke Fokus auf die Verantwortungsübernahme von Jusos in Partei und Fraktionen auch eine Schwächung des Verbandes insbesondere auf Bundesebene zur Folge hatte. Deshalb kann diese Strategie immer nur eine neben anderen sein und die Ressourcen, die wir insbesondere in der Breite des Verbandes auf die Verantwortungsübernahme aufwenden, müssen sehr kritisch abgewogen werden. Wir wollen unsere Bildungsarbeit und unsere Utopiefähigkeit sowie unsere Grundsätzlichkeit behalten und diese nicht durch den parlamentarischen Betrieb und Sachzwänge verlieren, außerdem sind wir nicht die Mandatsträger*innenschmiede der SPD. Dennoch sehen wir Potential in progressiven Kandidaturen und Mandaten. Diese dienen als Projektionsfläche, schaffen Aufmerksamkeit für unsere Inhalte nach außen und erlangen Ressourcen und Zugänge für die Bewegung. Deshalb werden wir auch weiterhin Jusos und generell überzeugte linke Personen unterstützen, die für Mandate kandidieren.
Wir Jusos Bayern wollen auf allen Ebenen, von der Kommune bis nach Europa, am demokratischen Sozialismus arbeiten. Auch die Kommunalpolitik bietet Potential für jungsozialistische Perspektiven. Deshalb wollen wir potentielle Kandidat*innen empowern, aber sie auch gleichzeitig weiterbilden und vernetzen, um das meiste aus der Kommunalpolitik rauszuholen.
Wir Jusos Bayern sind uns bewusst, dass die Jusos, die im Bundestag oder in den Landtagen sitzen, Teil der SPD-Fraktionen sind und den damit einhergehenden Zwängen unterliegen. Dem freien Mandat des*r Abgeordneten steht die Fraktionsdisziplin entgegen, ohne die keine Koalitionsregierung bestehen kann und die oft zum Fraktionszwang werden kann. Dennoch besitzen Abgeordnete die Möglichkeit, auf Debatten Einfluss zu nehmen und haben Zugang zu Ressourcen und Diskussionsräumen innerhalb der Partei. Wir Jusos Bayern unterstützen diejenigen von uns – auch über die Grenzen der Jusos hinaus – die Verantwortung übernehmen. Wir melden ihnen – auch regelmäßig und institutionalisiert – Perspektiven aus dem Verband zurück. Wir halten ihnen auch an der Stelle in der Partei den Rücken frei, wo sie sich im Sinne unserer Grundwerte organisieren und die Meinungsbildung in den Fraktionen und Vorständen auch gegen den Mainstream dort beeinflussen. Wir fordern sie dazu auf, diese Debattenräume zu nutzen. Es kann an einzelnen Punkten, die unseren Grundwerten fundamental entgegenstehen, auch sinnvoll sein, Abstimmungen der Fraktion nicht mitzutragen. Damit wir sie unterstützen können, müssen wir aber frühzeitig in Vorhaben und Debatten einbezogen werden. Wir Jusos Bayern wollen, dass diejenigen, die von ihrem Engagement bei den Jusos und von der Unterstützung durch die Jusos auf ihrem Weg zu Amt oder Mandat profitiert haben sich gegenüber den Jusos erkenntlich zeigen und die gewonnen Ressourcen für die Unterstützung der Juso-Arbeit nutzen.
Wir Jusos Bayern erwarten von Jusos, die Mitarbeiter*innen von Abgeordneten oder Partei sind, Transparenz und damit einhergehend die eigene kritische Reflexion der verschiedenen Rollen. Das schließt mit ein, sich darüber bewusst zu sein, dass damit ein erweiterter Informationszugang einhergeht, Abhängigkeiten entstehen, und gleichzeitig der konkrete Parlamentsbetrieb dazu führen kann, dass die eigenen Einstellungen weniger grundsätzlich sozialistisch sind. Arbeitsverhältnisse dürfen keine Auswirkung darauf haben, weiterhin kritisch-solidarisch mit der Partei umzugehen.
Wir Jusos Bayern halten ein Juso-Amt für nicht mit einem hauptamtlichen Mandat vereinbar. Das gilt für alle Ebenen.
Wir Jusos Bayern sehen uns als Teil der feministischen und antifaschistischen Bewegung. Wir kämpfen für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen und stellen uns damit gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Identität, der Religion sowie rassistischer Diskriminierung.
Wir wollen den Unterdrückten und Diskriminierten eine Stimme geben und einen möglichst diskriminierungsfreien Verband für alle schaffen, um die Ungleichheit und Diskriminierung in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen. Als Jusos Bayern legen wir dabei einen Fokus auf den Zusammenhang zwischen Produktions- und Besitzverhältnissen und Ausbeutung sowie zwischen Diskriminierung und strukturellen und systemischen Ursachen. Unser Ziel ist eine Solidarisierung verschiedener unterdrückter gesellschaftlicher Gruppen.
Wir Jusos Bayern stehen damit unverrückbar allen rechten und rechtsradikalen und faschistischen Kräften entgegen, die einzelne Individuen aufgrund einer vermeintlichen Nicht-Zugehörigkeit zu einer normativen Gruppe aus unserer solidarischen Gesellschaft ausschließen wollen. Das betrifft uns alle. Sie müssen mit unserem erbitterten Widerstand rechnen.
Diskriminierung und ökonomische Ausbeutung hängen eng zusammen. Historisch betrachtet entstand moderner Rassismus im Zusammenhang der Kolonialisierung, um sich die Naturgüter und die Arbeitskraft der Menschen in den kolonialisierten Gebieten aneignen zu können. Das Patriarchat resultiert historisch aus der Sesshaftigkeit der Menschen, die zu einer veränderten Rolle der Frau aufgrund der körperlichen Reproduktion geführt hat. Der Kapitalismus hat Diskriminierung also nicht erfunden, jedoch verfestigt er heute zum Erhalt von Macht und der Möglichkeit von Ausbeutung die bestehenden Diskriminierungsformen. Nicht alle Diskriminierungen - gerade im zwischenmenschlichen Miteinander - beinhalten zwangsläufig immer diese materielle Dimension. Wer wie wir Diskriminierung aber auf einer gesellschaftlchen Ebene bekämpfen will, kommt analytisch um den Zusammenhang mit dem Kapitalismus nicht herum. Die Abschaffung des Kapitalismus löst nicht automatisch alle Diskriminierungsfragen, Diskriminierungsfragen lassen sich aber auch nicht ohne die Abschaffung des Kapitalismus lösen.
Wir Jusos Bayern beobachten eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft. Nach langwierigen emanzipatorischen Kämpfen erhalten Menschen mit unterschiedlichen Identitätsmerkmalen endlich wachsende Anerkennung. Dies hat zur Folge, dass zum einen Identitätsfragen einen wachsenden Raum im politischen Kurs einnehmen. Zum anderen werden politische Positionen zunehmend aus persönlicher Betroffenheit heraus bezogen und verargumentiert. Das Kollektiv als handelndes Subjekt rückt damit zunehmend in den Hintergrund und spaltet sich auf.
Wir Jusos Bayern sehen in diesem Zuge das große Potential, dass Zugehörigkeit zu der Gruppe von Menschen, die auf ihre Arbeit angewiesen sind, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, ebenfalls Identität schaffen kann – beziehungsweise vielmehr wieder schaffen muss. Es ist zu sehr in den Hintergrund gerückt, dass es der Kapitalismus ist, der versucht uns zu spalten: Menschen werden aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder ihrem Nachnamen gezielt abgewertet, um sie zu unterdrücken und ökonomisch ausbeutbar zu machen. Diese Gemeinsamkeit, allein im Besitz der eigenen Arbeitskraft zu sein – welche mehr oder weniger ausgebeutet wird – werden wir Jusos Bayern wieder vermehrt ins Zentrum identitärer Fragestellungen rücken, um so das Kollektiv wieder zu stärken und handlungsfähiger zu machen. Aus diesem Grund werden wir in unserer (Bildungs-) Arbeit die materialistische Dimension von Identitätsfragen verdeutlichen und betonen, wie der Zusammenhang zum kapitalistischen System ist, also wie der Kapitalismus durch Individualisierung entlang von Identitätsmerkmalen die Menschen spaltet und eine Verbesserung ihrer Lebenssituation verhindert. Den Menschen, die mit individuellen Erfahrungen zu uns kommen, wollen wir durch kapitalismuskritische Bildungsarbeit Analysewerkzeuge an die Hand geben, um strukturelle Bedingungen zu kritisieren.
Wir Jusos Bayern werden gleichzeitig aber auch weiterhin engagiert Lösungen und Forderungen für die Emanzipation verschiedener Identität erarbeiten und erkämpfen. Dies ist für uns nicht nur eine Frage von Solidarität, sondern essentieller Bestandteil, um im materiellen Kollektiv überhaupt aktiv werden zu können: Alle Menschen müssen sich sicher und frei im politischen Diskurs äußern und einbringen können. Das ist im aktuellen System und den damit verbundenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht für alle Individuen möglich – und muss zuerst innerhalb unseres Verbands und unserer Partei gewährleistet werden. In letzter Konsequenz ist unser Ziel, den demokratischen Sozialismus der Freien und Gleichen zu schaffen, nicht allein durch materielle Freiheit und Gleichheit erreicht. Wir müssen auch sicherstellen, dass auf dem Weg dahin alle Formen von Hass und Unterdrückung, die durch den Kapitalismus und das Patriarchat aus Eigennutzen hervorgebracht und verfestigt werden, beseitigt werden: Jede*r muss auch frei in ihrer*seiner Identität sein. Für unsere (Bildungs)Arbeit bedeutet dies, dass Wir Jusos Bayern unseren Kampf für Feminismus, Antirassismus und gegen andere Formen der Unterdrückung fortführen, Identität aber stets auch im systematischen Kontext des Kapitalismus betrachten werden.
Wir Jusos Bayern kämpfen dementsprechend als Kollektiv für die Anerkennung unterschiedlicher Lebensrealitäten. Dabei wissen wir, dass wir Menschen überzeugen und mitnehmen müssen. Das bedeutet Anstrengungen und viel Aufklärungsarbeit, um alle in ihrer jeweiligen Lebensrealität von unserer Vision der Freien und Gleichen zu überzeugen. Diese Arbeit leisten wir alle gemeinsam und überlassen sie nicht denen, denen sie aufgrund ihrer Identität zugeschrieben wird.
beschlossen auf der Juso-Landeskonferenz am 04.05.2024 in Nürnberg